[No Monologue] Vorurteile

09:00

Heute kommt der zweite Beitrag im Rahmen der Blogreihe "No Monologue", welcher sich dieses Mal mit dem Thema "Vorurteile" beschäftigt.
Vorurteile. Was ist das? Haben sie einen Sinn? Brauchen wir sie?


Im Rahmen meines Berufs habe ich schon viel mit Vorurteilen zu tun und auch zu kämpfen gehabt. Zu viel.
Selbst in einem Bundesland wie Bremen, welches sich im Thema Inklusion, also der Teilhabe von Menschen mit Behinderung, sehr engagiert, ist der meist gehörteste Satz, wenn man mit Menschen mit Behinderung unterwegs ist: "Also ICH könte das ja nicht". Aha, interessant, warum denn nicht? Fragt man dann einmal genau nach, warum diese Menschen so denken, werden die wildesten Vorstellungen über Menschen mit Behinderungen rausgehauen. Manchmal fühle ich mich dann, als wären wir in einer anderen Zeit, wo Menschen mit Behinderung verfolgt wurden, weil sie nutzlos sind, keinen Wert für die Gesellschaft haben. Das ist für mich ein Denken, was auf Kleingeistigkeit und Bildungsmangel oder schlichtweg Ignoranz schließen lässt. Denn kaum einer weiß, dass es in Deutschland auch Gesetze gibt, die Menschen mit Behinderungen betreffen. Beispielsweise müssen Firmen ab einer gewissen Mitarbeitergröße auch Menschen mit Behinderungen beschäftigen und ansonsten eine Art Strafe zahlen, wenn sie dieser Forderung nicht nach kommen. Einer meiner Klienten arbeitet in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung. Er arbeitet in einer großen Halle, mit vielen anderen behinderten Menschen zusammen. Die Menschen in dieser Halle fertigen für Mercedes. Mein Klient ist sehr stolz darauf, dass er für Mercedes arbeitet, auch wenn es eigentlich nicht so ist. Denn er ist bei der WfbM angestellt, nicht bei Mercedes. Er kriegt auch nicht, dass Gehalt, welches die Mitarbeiter bei Mercedes bekommen, sondern knapp 200€ im Monat. Für die Arbeit, die sonst ein Mercedes Mitarbeiter machen würde, der ein vielfaches verdient. Aber das ist etwas, was viele Menschen nicht wissen. In den Köpfen herrscht immernoch das Bild von Menschen mit Behinderung, die nur vor sich hin vegetieren, die nicht arbeiten können, nichts für die Gesellschaft tun, nichts erwirtschaften. Wenn man diesen Menschen dann mal erzählt, wie es wirklich ist, reagieren die meisten sehr ungläubig. Weil sie sich nie damit beschäftigt haben. Weil es in ihrem Köpfen gar nicht die Möglichkeit gab, dass es anders sein könnte. Weil sie von Vorurteilen eingenommen sind oder waren.
Ein anderes Beispiel aus meinem Berufsleben ist das Mitleid, dass Menschen mit Behinderung von allen Seiten entgegen kommt. Es herrscht das Denken vor, dass behinderte Menschen ja so schlimm dran sind, das sie nicht glücklich sein können, das ihre Behinderung ja sogar so etwas wie eine Strafe ist und Menschen mit Behinderung kein normales Leben führen können. Sie vergessen dabei, dass viele eine angeborene Behinderung haben, sie kennen ihr Leben nicht anders und für sie ist ihr Leben normal. Und wenn ich Dienst habe, habe ich teilweise so viel Spaß mit meinen Klienten, wir kriegen und vor Lachen manchmal nicht mehr ein und ich habe selten mit Menschen ohne Behinderung so viel Spaß. Fest steht für mich jedoch, dass Menschen mit Behinderung mindestens so glücklich sind, wie alle anderen auch, sie müssen nur auf Menschen mit freien Köpfen treffen.

Kommen wir also wieder zur Anfangsfrage. Was sind Vorurteile? Für mich sind Vorurteile in den Köpfen von Menschen, die keinen freien Kopf haben. Ein Bild, was man zu einer bestimmten Sache, Kultur, Personengruppe im Kopf hat und bei diesem Bild man sich noch nie bemüht hat sich darüber zu informieren. Vorurteile sind Halbwahrheiten, höchstens, meisten ist nämlich nichtmal die Hälfte wahr.
Und nun die Frage, welchen Sinn sie haben. Das ist quasi die Eine-Millionen-Euro-Frage, die eben nur ein vorurteilsbehafteter Mensch beantworten kann. Vorurteile sind häufig die Ausrede, damit man sich mal dezent scheiße gegebenüber Menschen verhalten kann, die anders sind und die man nicht versteht, die nicht ins eigene Welt- oder Gesellschaftsbild passen. Vorurteile sind etwas hinter dem sich kleine Geister gut verstecken können, denn "der und der hat aber gesagt, dass"...
Menschen die fähig sind ihren Horizont zu erweitern, dazu zu lernen und zuhören können brauchen keine Vorurteile. Sie könne sich weiterbilden, weiterentwickeln. Aber wer den Kopf schon voll hat und nichts ändern will, oder vielleicht auch gar nicht kann, der braucht Vorurteile. Als Schutz. Als Schutz vor Neuem, denn dann wird einfach im Kopf eine Schublade aufgemacht, in die das neue reingesteckt wird. Wie meine Mama immer sagt "Klappe zu, Affe tot". Ist das Gesehene erstmal in der Schublade verschwunden, dann bleibt es da auch. Für immer. Aus den Augen aus dem Sinn. Nichts, worüber man nachdenken muss, womit man sich beschäftigen muss. Rein in die Schublade, Meinung gebildet und Schluss. Das war's. Vorurteil perfekt. Perfekt, wenn man sich mit dem Thema eh nicht beschäftigen möchte. 

Vorurteile können also Schutz bieten, sind aber mit Sicherheit nichts, was das Leben bereichert, denn das Schönste sieht und erlebt man, wenn man über den Tellerrand schaut. Also nur Mut. Lasst die Schubladen einfach zu, sortiert nichts mehr ein und seit offen im Kopf und im Herzen und seht selbst, wie viel bunter das Leben dann ist.

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2 Kommentare

  1. Das was du schreibst ist so wahr! Gerade Menschen mit Behinderung sehen sich mit so vielen Vorurteilen konfrontiert - entweder die Leute bringen ihnen Mitleid entgegen, grenzenlose Bewunderung, oder hauen irgendwelche unüberlegten Äußerungen raus. Ich finde zum Beispiel Leidmedien eine ganz tolle Seite, um sich selbst bewusst zu machen, welche Vorurteile man vielleicht in sich trägt. Du bist da ja ziemlich erfahren und geschult (klar, das bringt dein Berufsfeld mit sich) - aber bei manchen Menschen ist so ein bisschen Nachhilfe wirklich noch notwendig... Umso besser, wenn solche Artikel zur Aufklärung beitragen :)

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  2. Ein sehr schöner Post!

    Rassismus, Mobbing, Diskriminierung... Vorurteile basieren letztendlich nicht auf Erfahrungswerten. Meist ist es die Angst vor dem Unbekannten.
    Halbwahrheiten oder Negativbeispiele von Einzelfällen, die gerne beim abendlichen Stammtisch gestreut werden.

    Man sollte sich viel mehr damit auseinander setzen und es als Bereicherung ansehen, eine weitere Erfahrung geschenkt zu bekommen. Es wird einem schließlich nichts genommen.

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